Aktuelles

Wie Fachkräftesicherung im ländlichen Ostdeutschland funktioniert

Fachkräftesicherung im ländlichen Raum ist ein Thema, das nicht nur die Region Erzgebirge beschäftigt. Wie man aber diese Problematik mit kundenorientierten Lösungen hier angeht und Chancen nutzt, dazu positioniert sich die Geschäftsführerin der Wirtschaftsförderung Erzgebirge GmbH, Dr. Peggy Kreller, im RKW Magazin. Das Magazin beschäftigt sich in seiner aktuellen Ausgabe mit der Investition Mensch - Transformation statt Resignation. Den gesamten Beitrag aus dem Erzgebirge lesen Sie hier. 

Wie viele andere – insbesondere ländliche – Regionen in Deutschland leidet auch das Erzgebirge seit vielen Jahren unter dem Fachkräftemangel. Gründe dafür gibt es viele, allerdings ist gerade in Ostdeutschland der Faktor „demografische Entwicklung“ besonders virulent. Was nun? Den Kopf in den Sand stecken? Nein! Ein positives Beispiel, mit den vielfältigen Herausforderungen umzugehen und dem Problem „Fachkräftemangel“ etwas entgegenzusetzten, liefert die Wirtschaftsförderung Erzgebirge GmbH. Gemeinsam mit Partnern und in Zusammenarbeit mit der regionalen Wirtschaft konnte sie in den vergangenen Jahren eine Reihe von Maßnahmen entwickeln, um das Erzgebirge und die heimischen Unternehmen in den Fokus von potenziellen Fachkräften zu rücken: regional, überregional und international.

Demografie-Labor Ostdeutschland
Dass der Osten Deutschlands seit langem als Demografie-Labor der Bundesrepublik bezeichnet wird, hat verschiedene Ursachen. Insbesondere die Abwanderung junger Menschen ab 1989 in die westlichen Bundesländer trug dazu bei, dass sich die Zahl der verfügbaren Arbeitskräfte in den folgenden Jahrzehnten deutlich verringerte und das Durchschnittsalter der Bevölkerung anstieg. Die Abwanderung zum damaligen Zeitpunkt war verständlich, denn die Wirtschaft hatte sich quasi über Nacht aufgelöst. Arbeitsstellen wurden zur Mangelware. Die wirtschaftliche Lage erholte sich zwar langsam, kann jedoch bis heute kein vergleichbares Bruttoinlandsprodukt (BIP) aufweisen wie westliche Bundesländer. So lag das BIP je Erwerbstätigem 2022 im Erzgebirgskreis wie auch damit einhergehend der Medianlohn knapp 30 Prozent unter dem deutschen Durchschnitt - ein weiterer Grund für dauerhafte Abwanderung.

Stadt vs. Land
Ein weiteres Phänomen im Hinblick auf das Fachkräfteangebot ist die Divergenz zwischen sogenannten ländlichen Räumen und Metropolen. Ein breiteres Angebot an Kultur, Mobilität, Dienstleistungen, Technologien, Bildung und Communitys zieht sowohl verstärkt Abiturienten als auch Zuwanderer in größere Städte. Damit potenziert sich quasi die Herausforderung der Fachkräftesicherung in Regionen wie dem Erzgebirgskreis, der stellvertretend für viele Landkreise in Ost- wie Westdeutschland steht. Denn viele Probleme zwischen beiden Landesteilen sind inzwischen identisch. Der Anteil nicht besetzter Stellen ist nahezu gleich, die Liste der Engpassberufe im Erziehungs-, Sozial- und Gesundheitsbereich sowie in Bau-, Metall- und Elektro- IT-Berufen ähnlich.

Was also tun, wenn die Beschäftigungsquote von Frauen und Älteren schon überdurchschnittlich, die Arbeitslosenquote die niedrigste im Bundesland ist und internationale Fachkräfte durch eine mediale Berichterstattung abgeschreckt werden, die die Einwohner als fremdenfeindlich abstempelt? Und wenn gleichzeitig der Bedarf der Wirtschaft an gut ausgebildeten Fachkräften an diesem Industriestandort, der viele Hidden Champions beherbergt, wächst?

Wirtschaft gemeinsam fördern
Die Antwort liegt im Zusammenspiel von Kooperation, kundenorientierten Angeboten, Marketing und Fördermittelakquise, der im Erzgebirgskreis durch die landkreiseigene Wirtschaftsförderung Erzgebirge GmbH (WFE) strategisch gut bespielt wird. Das dank seiner Gesellschafterstruktur flexibel agierende Unternehmen versteht sich als persönlicher und kompetenter Ansprechpartner zu allen Themen der Wirtschaft im Erzgebirge für Unternehmen, Kommunen, Gesellschaft, Wissenschaft und Politik. Die WFE hat ihre Services auf die kleingliedrige Wirtschaftsstruktur der Region angepasst, die vorrangig im verarbeitenden Gewerbe angesiedelt ist.

Erfolgreiche Kooperationen aufzubauen ist ein Langzeitprojekt, denn sie basieren auf dem gegenseitigen Vertrauen von Menschen sowohl auf der Ebene der Entscheidungsträger als auch der Partner, die operativ in übergreifenden Projekten zusammenarbeiten. Im Landkreis koordiniert die WFE die Fachkräfteallianz Erzgebirge, in der unter anderem Vertreter der Agentur für Arbeit, der IHK, Kreishandwerkerschaft, aber auch der mitgliederstärkste Gewerbeverein, das Landesamt für Schule und Bildung, die Liga der Freien Wohlfahrtspflege oder der DGB mitwirken. Dabei spielt der individuelle Absender von Maßnahmen der Fachkräftesicherung eine untergeordnete Rolle, damit man sich nicht in Kompetenzrangeleien verliert – wichtig ist die Arbeit der Allianz an sich.

Aber nicht nur die Akteure mit ihren unterschiedlichen Kompetenzen und Möglichkeiten spielen im Bereich der Kooperation eine wichtige Rolle, sondern vor allem auch die direkte Nähe zur Wirtschaft. In einer Region, in der 86 Prozent der 15.000 Unternehmen weniger als 10 Mitarbeiter aufweist, stellt das eine besondere Herausforderung dar. Projekte wie CSRnetERZ, die Corporate Social Responsibility in den Mittelpunkt stellen und Unternehmen größen- und branchenübergreifend zusammenbringen, eine Studie zur Fachkräftesicherung in Klein- und Kleinstunternehmen, ein Arbeitskreis Schule-Wirtschaft oder die Etablierung eines Wirtschaftsbeirates sind Bausteine, um Unternehmen auf Augenhöhe zu begegnen sowie gute Kontakte aufzubauen, zu pflegen und Bedarfe zu ermitteln.

Aus diesen Kooperationsbausteinen entstehen kundenorientierte Angebote entlang der gesamten Prozesskette der Fachkräftesicherung. Angebote wie Ausbildungsmesse, Studienmesse, Woche der offenen Unternehmen, Berufe im Test, die Fokussierung auf duale Ausbildungswege oder eine „Wertzeugkiste“ für Abiturienten sind Maßnahmen, welche die Nachwuchsfindung aktiv unterstützen. Zum Finden von Fachkräften ist das regionale Fachkräfteportal Erzgebirge. Die Onlineplattform wurde 2008 ins Leben gerufen und kontinuierlich weiterentwickelt – zuletzt in 2024 mit dem Fokus auf ein besseres Matching zwischen Bewerbern und Unternehmen. Der Jobmanager im Hintergrund der Plattform gibt auch kleineren Unternehmen ohne eigene Personalabteilung ein starkes Tool für deren Bewerberprozess an die Hand. Darüber hinaus sorgt eine Karriere+Jobmesse in den Weihnachtsferien für persönliche Kontakte zum neuen Arbeitgeber. Neu entwickelt ist darüber hinaus eine Plattform zur Listung von Recruitern, um Mitarbeitende im Ausland zu finden. Um Talente zu integrieren bietet das Welcome Center Erzgebirge umfangreiche Beratungsleistungen zum Ankommen, Arbeiten und Leben in der Region.

All diese Angebote bedürfen eines aufeinander abgestimmten und durchdachten Marketings. Mittels Content-Marketing-Strategie werden authentisch-emotionale Inhalte insbesondere über Onlinemarketing ausgespielt, um die Region als progressive Provinz zu positionieren und auf die Dienstleistungsangebote zu verweisen. Kampagnen in Metropolen wie Berlin oder Köln führen zu steigenden Beratungsanfragen im Welcome Center. Wichtig ist dabei jedoch, nicht nur potenzielle Rückkehrer und Zuwanderer als Zielgruppe anzusprechen, sondern auch die Menschen in der Region mitzunehmen. Die cross-mediale Fachkräfteansprache wird in der Region mit analogen Medien, wie dem Magazin Herzland ergänzt, das zur Karriere+Jobmesse erscheint.

Viele dieser Angebote sind jedoch sehr personalintensiv, so dass die daraus entstehenden Kosten nicht vollständig auf Unternehmen verlagert werden können. Ein wichtiger Erfolgsbaustein ist damit die Verfügbarkeit passender Fördermittel. Der Freistaat Sachsen unterstützt seit 2026 über die Fachkräfterichtlinie Projekte, die Lösungsansätze für den Fachkräftemangel entwickeln. Darüber hinaus akquiriert die WFE erfolgreich Fördermittel für strukturschwache Regionen aus der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ (GRW), der Förderrichtlinie Regionalentwicklung (FR-Regio) oder Mittel der EU zur europäischen territorialen Zusammenarbeit, die sich aus der Grenznähe zu Tschechien anbietet, für Maßnahmen der Fachkräftesicherung.